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Buchtipp für Erwachsene 6/2023: Fatma Aydemir: Dschinns

Roman / Fatma Aydemir. - 4. Auflage. - München : Hanser, 2022. - 366 Seiten ; 21 cm
ISBN 978-3-446-26914-9 fest geb. : 24,00 €

(© Hanser Verl.)

In ihrem zweiten Roman erzählt Fatma Aydemir die Geschichte einer türkischen Gastarbeiterfamilie in Deutschland. Sie schlüpft dabei in die Köpfe der einzelnen sechs Familienmitglieder, denen jeweils ein Kapitel gewidmet ist. Jede Person hat mit eigenen Problemen zu kämpfen, sei es mit Rassismus, Identitätsfindung oder Traumata aus der Vergangenheit.

Der Vater, Hüseyin, kommt nach seinem Militärdienst in der Türkei Anfang der 70er-Jahre nach Süddeutschland. Später holt er seine Frau und zwei seiner damals drei Kinder nach. Die älteste Tochter Sevda bleibt die nächsten Jahre in der Türkei, um die Großeltern zu unterstützen. Ein weiteres Kind, Ümit, wird in Deutschland geboren und ist 1999, dem Jahr der Handlung des Buches, 15 Jahre alt.

Hüseyin hat sich nach fast 40 Jahren Schufterei in einer Metallfabrik seinen Traum erfüllt und für seinen Lebensabend eine Wohnung in Istanbul gekauft. Er ist gerade dabei, die Wohnung einzurichten, als er einen Herzinfarkt erleidet und stirbt. Die Beerdigung muss innerhalb der nächsten 48 Stunden erfolgen, d. h. alle Familienmitglieder werden aus ihren Vorhaben gerissen und brechen auf nach Istanbul.

In dieser Situation erleben wir die einzelnen Personen in ihrem Verhältnis zum Vater, zur Familie und zur deutschen Gesellschaft der 1990er-Jahre.

Der ältesten Tochter Sevda wurde ein Schulbesuch verwehrt, sie wurde früh verheiratet und leidet noch an dem Trauma eines nächtlichen Brandanschlages auf ihr Wohnhaus. Aber sie ist stark.

Hakan, der älteste Sohn, hatte ein problematisches Verhältnis zu Hüseyin. Er vermisste immer den Rückhalt des Vaters, der sich für ihn schämte, denn er ist schon einige Male mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Jetzt soll er das neue Familienoberhaupt werden. Eine Rolle, der er sich nicht gewachsen fühlt.

Die Tochter Peri hat sich weit von ihrer „Scheißfamilie“ entfernt. Sie ist Feministin, studiert in einer anderen Stadt und genießt ihre Freiheiten. Nur zum jüngsten Bruder Ümit hat sie eine liebevolle Beziehung. Der ist zutiefst verwirrt, denn er hat sich in einen Jungen aus seinem Fußballklub verliebt.

Das Verhältnis von Hüseyin und seiner Frau Emine wird von Geheimnissen überschattet, die nie angesprochen werden. Wie ein Schleier senken sich Gefühle von Verbitterung, Einsamkeit und Sprachlosigkeit auf die Familie. Erst ganz zum Schluss des Buches öffnet sich Emine ihrer ältesten Tochter.

Fatma Aydemirs Roman „Dschinns“ ist vielleicht ein wenig überfrachtet, aber er erzählt sehr einfühlsam über den Verlust von Wurzeln und den Schwierigkeiten, in einem Land richtig anzukommen, in dem man sich nicht willkommen fühlt.

 

Fatma Aydemir wurde 1986 in Karlsruhe geboren und lebt heute in Berlin. Sie ist Kolumnistin und Redakteurin bei der taz und erhielt für ihren Debutroman „Ellenbogen“ bereits mehrere Auszeichnungen. „Dschinns“ ist ihr zweiter Roman und wurde unter anderem mit dem Robert-Gernhardt-Preis und dem Preis der LiteraTour Nord 2023 ausgezeichnet.

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