Berlin : Kein & Aber , 2021 - Deutsche Erstausgabe - 347 Seiten : 26,00 EUR ISBN 978-3-0369-5849-1
Lilach Schuster, die Ich-Erzählerin, lebt mit ihrem Mann Michael und dem Sohn Adam in Silicon Valley. Michael hat einen gut bezahlten Job in der IT-Branche und Lilach arbeitet in Teilzeit in einem Altenheim. Sie glaubt, dem ständigen Terror in ihrer Heimat Israel entkommen zu sein. Doch dann erfolgt ein Anschlag auf die nahegelegene Synagoge und die Gewalt zieht auch in ihre unmittelbare Umgebung ein.
"Als wir uns entschieden, in den Vereinigten Staaten zu bleiben, hatte ich meiner Mutter erklärt, ich wolle Adam an einem Ort aufwachsen lassen, wo es keine Kriege gebe. Jetzt fürchtete ich, wir könnten uns geirrt haben. Vielleicht hatten wir gemeint, Adam vor dem israelischen Irrsinn zu bewahren, ihn tatsächlich aber einem anderen Irrsinn ausgesetzt."
Nach dem antisemitischen Anschlag ereignet sich eine weitere Tragödie. Auf einer Party stirbt Adams Mitschüler Jamal an einer Überdosis Drogen. Zunächst gehen alle von einem Unglück aus, doch dann gerät Adam in Verdacht, die Drogen möglicherweise verabreicht zu haben. Lilach stellt sich die Frage, wie gut sie ihren Sohn überhaupt kennt, denn Adam hat sich in letzter Zeit stark verändert.
Er war immer ein zurückgezogener, sensibler Junge, nimmt seit einiger Zeit aber an einem Selbstverteidigungskurs teil, der von Uri, einem israelischen Ex-Soldaten geleitet wird. Adam gerät in den Bann dieses charismatischen Mannes und entzieht sich damit immer mehr dem Einfluss seiner Eltern.
Als Lilach dann der Mutter des verstorbenen Mitschülers einen Kondolenzbesuch abstattet, entdeckt sie in dessen Kinderzimmer ein Poster von der "Nation of Islam", einer religiös-politischen Organisation von Afroamerikanern, die sich gegen Weiße richtet und immer wieder mit antisemitischen Äußerungen auffällt - und sie sieht noch mehr Erschreckendes:
"Von Minute zu Minute kamen mir mehr Dinge in Jamals Zimmer bekannt vor. Die Jeans mit dem gelben Streifen, von der Adam behauptet hatte, sie sei zerrissen, hing halb auf links gedreht über der Stuhllehne, wie hastig ausgezogen. Ich erkannte meine Handschrift an der Innentasche. Ein Originalhut von Indiana Jones, den wir in Disneyland gekauft hatten, baumelte an einem Haken über dem Bett. Der Puls raste in meinen Schläfen. Die Augen huschten wie Mäuse durch den Raum: Ein Nike-Sweatshirt. Eine Jacke von Gap. Eine Lederjacke von Banana Republic mit einem A auf dem Etikett."
Sie realisiert, dass Adam zum Außenseiter wurde, der wegen seiner jüdischen Herkunft gemobbt wird. Aber würde er deshalb jemanden töten? Der Zweifel ist gesät.
Lilach, eine Mutter mit Tendenz zur Überbehütung, muss sich fragen, warum sie die größten Nöte ihres Sohnes nicht bemerkt hat und sie den fadenscheinigen Erklärungen ihres Sohnes für das Verschwinden seiner Sachen geglaubt hat.
„Wo der Wolf lauert“ ist ein spannender, psychologischer Roman darüber, wie Wunschdenken, Ängste und Vorurteile unser Denken und unsere Wahrnehmungen beeinflussen. Nicht zum ersten Mal befasst sich die Autorin in diesem Roman mit der Frage, wie gehen wir mit unseren Liebsten um, wenn sie plötzlich zu Tätern werden. Gehört Wegschauen zur bedingungslosen Liebe?
Ayelet Gundar Goshen wurde 1982 in Tel Aviv geboren und studierte dort Psychologie und danach Film und Drehbuch in Jerusalem. Sie lebt mit ihrer Familie in Tel Aviv und arbeitet dort als Psychologin.
„Wo der Wolf lauert“ ist ihr vierter Roman. Zuvor erschienen ebenfalls bei Kein & Aber „Eine Nacht, Markowitz“ (2013), „Löwen wecken“ (2015) und „Lügnerin“(2017).