Roman. - München: Luchterhand, 2024. - 300 S.
ISBN 378-3-630-87747-1 fest gebunden : EUR 24,00
Dieses Buch ist ein Roman. Als literarisches Werk knüpft es in vielen Passagen an reales Geschehen und an Personen der Zeitgeschichte an. Es verbindet Anklänge an tatsächliche Vorkommnisse mit künstlerisch gestalteten, fiktiven Schilderungen sowie fiktiven Personen. Dies betrifft auch und insbesondere vermeintlich genaue Schilderungen von privaten Begebenheiten oder persönlichen Motiven und Überlegungen. Sie sollen die Motive und Intentionen der objektivierten Charaktere erhellen und sind deshalb künstlerisch geboten und erforderlich.
Diesen ausführlichen Disclaimer stellte Christoph Peters seinem mit dem Schubart-Literaturpreis 2025 ausgezeichneten Roman Innerstädtischer Tod voran. Fast als habe er geahnt, jemand könnte sich in einer der Figuren des Romans wiedererkennen. Doch dazu später mehr.
Bei seinem Erscheinen im Herbst 2024 wurde das Buch für einen doch recht bekannten Autor (Stadt, Land, Fluss; Dorfroman) in der Presse sehr sparsam rezensiert, zumal der Roman der abschließende Band einer Trilogie war, der sein Verfasser in Anspielung auf eine Nachkriegstrilogie von Wolfgang Koeppen den Namen „Trilogie des gegenwärtigen Scheiterns“ verpasst hat.
Tatsächlich ist Innerstädtischer Tod eine Art Remake von Koeppens Roman Der Tod in Rom aus dem Jahr 1954. Peters greift die Grundanlage, die Figurenkonstellation und einzelne Handlungen aus Koeppens Nachkriegsroman auf, transponiert sie in das Jahr 2022 und verlegt den Ort der Handlung von Rom in die Berliner Kultur- und Politikszene der Gegenwart.
Im Mittelpunkt beider Romane steht jeweils eine sensible, an sich selbst zweifelnde Künstlerseele: Bei Koeppen ist es ein avantgardistischer Komponist, dessen Orchesterwerk in Rom uraufgeführt werden soll, bei Peters der junge Installationskünstler Fabian Kolb, der in einer Berliner Schickeria-Galerie seine erste große Ausstellung bekommt
In beiden Romanen ist der Onkel des Künstlers ein „böser Bube“ und ein brauner noch dazu: bei Koeppen ein nach dem Krieg untergetauchter SS-General, bei Peters der Vordenker einer fiktiven Rechtspartei im Bundestag, der Historiker Dr. Hermann Carius. Und in beiden Büchern hat der Künstler einen Cousin, Sohn des „bösen Buben“, der meint, zum Katholizismus konvertieren und Priester werden zu müssen, um für die Sünden der Väter zu büßen.
Dazu kommen in beiden Fällen Eltern, die schon bessere Zeiten gesehen haben und deren Ehen völlig zerrüttet sind, und zahlreiche weitere parallele Einzelhandlungen. Und am Ende ist in beiden Büchern der böse Onkel tot.
Auch die Erzählweisen ähneln sich: Beide Autoren verwenden eine stark fragmentierte Erzählweise mit schnellen Perspektivwechseln von einer Person zur anderen. Dabei bekommen die beiden Künstler den meisten Raum und erzählen als einzige in der Ich-Form, während bei allen anderen in der dritten Person erzählt wird. Wer beide Bücher liest, wird noch mehr Parallelen entdecken.
Zum Inhalt:
Statt daheim in Krefeld die elterliche Krawattenmanufaktur, die letzte in Deutschland, zu übernehmen, hat Fabian Kolb Kunst studiert und macht Installationen bzw. lässt sie nach seinen Ideen anfertigen, weil er das Handwerkliche nicht beherrscht. Jetzt steht in der Berliner Schickimicki-Galerie Konrad Raspe seine erste große Einzelausstellung bevor. Sie soll den internationalen Durchbruch Fabian Kolbs bringen, denn die Galerie hat Dependancen in der ganzen Welt. Dumm ist nur, dass der Galerist just am Vortag der Vernissage öffentlich mit #MeToo-Vorwürfen konfrontiert wird. Das bringt Fabian in Gewissensnöte. Darf er sich im Dunstkreis eines solchen Mannes überhaupt noch bewegen? Fabian Kolb ist überhaupt die Karikatur des achtsamen zeitgenössischen Künstlers: Er ist ganz zeitgeistig woke, postkolonial und gendermäßig korrekt. Ist es nicht koloniale Ausbeutung, wenn er seine Objekte – wenn auch gegen Bezahlung – von marokkanischen Kunsthandwerkern herstellen lässt? Ist das nicht kulturelle Aneignung? Wird er den Spagat zwischen seinem hohen Ideal von Kunst und dem unvermeidlichen Kommerz schaffen? Reicht seine Begabung für eine internationale Karriere? Oder hat er sein Pulver bereits verschossen? Den Beschreibungen seiner ausgestellten Objekte nach ist Fabian Kolb sowieso eher ein Beuys- und Kalinowski-Epigone als ein Künstler mit eigenen Ideen. Was er allerdings aus dem Effeff beherrscht, ist das Gendern, und zwar so gut, dass er sogar beim Denken tut.
Zweitwichtigste Person des Romans ist Fabians Onkel, MdB Dr. Hermann Carius, der wie die Krawattenmanufaktur seines Schwagers seine besten Zeiten hinter sich hat und bei der Vernissage der Ausstellung seines Neffen auf einen medienwirksamen Auftritt hofft. Er ist stellvertretender Vorsitzender und Chef-Ideologe der Partei "Neue Rechte". Sein Sohn Martin, der sich von ihm distanziert hat, ist katholischer Geistlicher in Berlin, geriert sich als radfahrender Armenpriester nach lateinamerikanischem Vorbild und bemüht sich um den interreligiösen Dialog.
Es treten im Verlauf der Handlung weiterhin auf: Hermann Carius’ Frau Irmgard; Fabians Vater Hans-Gerd, der bürgerlich-spießige Krawattenfabrikant aus Krefeld samt Mutter Anneliese und Bruder Leo, getrieben von der Hoffnung, Onkel Hermanns Kontakte nutzen zu können, um weiterhin trotz Sanktionen Krawatten nach Russland exportieren zu können; das Galeristenehepaar Konrad und Eva-Kristin Raspe; der russische Botschafter; der Erzbischof von Berlin und viele mehr.
Die meisten von ihnen treffen schließlich bei Fabians Vernissage aufeinander, die von #MeToo-Aktivistinnen gestört wird, wobei einige Exponate zu Bruch gehen. Der sensible Künstler verabschiedet sich daraufhin völlig überfordert auf französisch von der eigenen Vernissage und verschwindet in der Nacht.
Damit könnte die Geschichte enden, doch noch fehlt ja der im Titel versprochene Tod. Und darum lässt Peters in der letzten Szene Onkel Hermann beim Stalken einer jungen indischen Kellnerin in der Bar eines Nobelhotels einen plötzlichen Herztod sterben.
„Innerstädtischer Tod“ ist ein Künstler- und Gesellschaftsroman und eine großartige Persiflage auf den zeitgenössischen Kunst- und Kulturbetrieb und die Berliner Blase. Er ist zugleich ein Schlüsselroman, wobei das Vorbild für Dr. Hermann Carius sicher am leichtesten zu entschlüsseln ist. Fast jeder Leser sollte hinter dieser Figur den AfD-Politiker Alexander Gauland erkennen können und unter seinen Anruferinnen Alice Weidel und Beatrix von Storch.
Weitaus größeres Presseecho als bei seinem Erscheinen erfuhr der Roman Anfang Februar, als zwei nicht ganz so leicht zu entschlüsselnde Personen die Verbreitung des Romans wegen der Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte verbieten lassen wollten, nämlich der Berliner Galerist Johann König und seine Frau Lena. Sie glaubten sich im Ehepaar Raspe wiederzuerkennen. Ihr Antrag auf einstweilige Verfügung wurde vom Oberlandesgericht Hamburg am 18.03.2025 in zweiter Instanz abgewiesen: Der Schutz der Kunstfreiheit gemäß Art. 5 III GG überwiege in diesem Fall die persönlichkeitsrechtlichen Belange der Antragsteller.
Denis Scheck urteilte Anfang des Jahres über das Buch im WDR2:
Dieses Buch ist von enormem literarischem Wert und sollte wie auch der Autor mit Preisen überhäuft werden.
Wofür Denis Scheck als Mitglied der Jury des Schubart-Literaturpreises inzwischen mit gesorgt hat.
Preisverleihung am Samstag, 3. Mai 2025, 18 Uhr, im KUBAA. Anmeldung bis 11.04.25 unter
https://www.aalen-kultur.de/preisverleihung-schubart-literaturpreis-2025.227009.htm,
Eintritt frei.