Buchtipp für Erwachsene Juli 2016

Benedict Wells: Vom Ende der Einsamkeit

Roman - Zürich : Diogenes, 2016. - 354 S.
ISBN 978-3-257-06958-7 fest geb. : EUR 22.00

(© Diogenes)

„Eine schwierige Kindheit ist wie ein unsichtbarer Feind: Man weiß nie, wann er zuschlagen wird.“

Jules, der 41-jährige Ich-Erzähler, wacht nach einem schweren Motorradunfall im Krankenhaus wieder auf. Er blickt auf das Leben zurück, auf seines und das seiner beiden Geschwister Marty und Liz.

Die Kindheit der drei war glücklich und unbeschwert bis zu jenem Tag kurz nach Weihnachten 1983, als die Eltern bei einem Autounfall ums Leben kamen. Jules war damals zehn, Marty 13 und Liz 14 Jahre alt. Sie kommen in ein Internat, werden aber getrennt untergebracht und sehen einander nur noch selten. Jeder muss alleine mit diesem Trauma und seiner Einsamkeit umgehen und jeder tut es auf eine andere Weise. Sie können sich in der Not nicht gegenseitig stützen.

Liz, auffallend schön und groß, inszeniert sich gerne. Mal als Prinzessin, dann als Wildfang, mal als die Frühreife, als Revoluzzerin oder Emanze. Sie wird von vielen bewundert, echte Freunde hat sie aber nicht. Liz schmeißt das Abitur und verschwindet für Jahre aus Jules Leben. Sie jagt dem Glück hinterher, landet aber nur bei Drogen, Alkohol und unverbindlichen Männerbeziehungen.

Auch Marty taugt nicht als Beschützer. Schon früher sonderte sich der „widerlichen Freak“, wie Liz ihn nennt, von der Familie ab und sezierte lieber tote Kleintiere. Im Internat gibt sich der langhaarige und stets schwarz gekleidete Brillenträger cool und abweisend. „Existentialistische Vogelscheuche“ wird er genannt. Mit 16 ist er der Anführer einer Gruppe von Nerds und Klugscheißern. Sein kleiner Bruder kann nicht auf ihn zählen. Als Jules einmal von Mitschülern schwer gedemütigt wird und laut nach Marty ruft, bleibt dessen Zimmertür verschlossen.

Jules selbst entwickelt sich von einem abenteuerlustigen, zum Übermut neigenden Kind zu einem ängstlichen, in sich zurückgezogenen Jugendlichen. In der Klasse sitzt er ganz hinten wo er hofft, nicht aufzufallen. Doch eines Tages setzt sich Alva neben ihn. Sie ist genau so schweigsam wie er und scheint gleichermaßen verletzt. Sie wird Jules große Liebe, die sein ganzes Leben bestimmt. Allerdings ist den beiden kein einfaches Glück beschert.

Benedikt Wells „Vom Ende der Einsamkeit“ ist eine Familiengeschichte und ein Entwicklungsroman über seelisch verletzte Kinder, die aus ihrer Lebensbahn geworfen wurden und ein Leben lang mit ihrem „falschen Leben“ kämpfen. Es geht um Trauer, Verlust, der Überwindung von Einsamkeit und der Frage, was im Leben eines Menschen unveränderlich ist.

Benedikt Wells wurde 1984 in München geboren und zog 2003 nach dem Abitur nach Berlin. Nach „Becks letzter Sommer“ (2008) - mit Christian Ulmen in der Titelrolle verfilmt - und dem Bestseller „Fast genial“ (2011), ist dies der dritte Roman des jungen Autors.

Sabine Fürst
Stadtbibliothek im Torhaus