Buchtipp für Erwachsene Februar 2014

Beate Rothmaier: Atmen, bis die Flut kommt
1. Aufl. - München : Deutsche Verlags-Anstalt 2013
400 Seiten
ISBN 978-3-421-04495-2 : EUR 19.99

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Eine Mutter verlässt ihr Baby einfach nicht - so etwas darf es nicht geben. Doch genau das macht Paule, als Lio erst ein paar Wochen alt ist. Zurück bleiben der alleinerziehende Vater Konrad und die Tochter, die an einer seltenen Behinderung leidet.

Der Vater, Comiczeichner, fühlt sich anfangs mit dem kleinen Säugling überfordert und wartet auf die Rückkehr der Mutter, die nicht eintritt. So richtet er sich zwangsweise das Leben mit seiner Tochter ein und passt sich komplett ihrem Lebensrhythmus an. Das funktioniert gut, bis eine medizinische Untersuchung die Behinderung der Tochter aufzeigt und sie dem Vater begreiflich macht. Erst jetzt wird dem Vater bewusst, dass seine Tochter aus dem vorgefertigten Schema des „Normalen“ herausfällt. Er muss die Beziehung zu seiner Tochter noch einmal ganz neu definieren. Eine gemeinsame Schlittenfahrt, bei der er seine Tochter verliert, wird für ihn zum Schlüsselerlebnis und führt dazu, dass er sich seiner Liebe zu ihr bewusst wird. Die Unterbringung in einem Heim ist für den Vater keine Alternative, auch wenn seine Umwelt seine Entscheidung oft nicht verstehen kann.

Konrad stößt im Alltag immer wieder an seine Grenzen. Auch er wünscht sich ein „heiles und perfektes Kind“, wie es bereits die Mutter Paule zum Ausdruck gebracht hat, als sie die Familie verlassen hat. Nach 17 Jahren macht sich der Vater zu einer Reise auf, von der er ohne Lio zurückkehren will. Doch diese Reise verändert Einiges und gestaltet sich völlig anders als erwartet …

Beate Rothmaier hat in ihrem dritten Roman bewusst einen alleinerziehenden Vater und eine behinderte Tochter in den Mittelpunkt gestellt. Der Vater erzählt seine Geschichte aus der Ich-Perspektive und so werden seine Gefühle in dieser schwierigen Lebenskonstellation greifbar und erfahrbar. Er lebt sein Leben als doppelter Außenseiter mit einem behinderten Kind und als Alleinerziehender, eine Rolle, die in unserer Gesellschaft noch immer ungewöhnlich ist. Der Zwiespalt zwischen Verantwortungsbewusstsein und dem Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben zerreißt Konrad beinahe und führt dazu, dass er sich immer wieder neu seinem Alltag stellen und sein Schicksal annehmen muss. Der Roman beschäftigt sich mit der Komplexität des menschlichen Lebens und der Frage wo "Normalität" beginnt und wo sie endet. Dies beinhaltet unterschwellig auch immer wieder die Frage nach den Auswirkungen und Einflüssen der Pränataldiagnostik.

„Die Sprache in diesem Roman - präzise, sensibel, klug. Beate Rothmaier zeigt, wie schon bei ihren beiden Vorgänger-Romanen, welch' einfühlsame und begnadete Erzählerin sie ist.“ (Deutschlandradio Kultur 23.09.2013)

Beate Rothmaier wurde 1962 in Ellwangen geboren. Sie studierte deutsche und französische Literatur, Theater- und Kommunikationswissenschaften und lebte in München, Tübingen und Colmar. Nach dem Umzug 1992 nach Zürich arbeitete sie in Theatern und Buchverlagen als Werbetexterin und Kursleiterin von Schreibwerkstätten. Seit 2002 arbeitet sie als freie Autorin und lebt mit ihrer Familie in Zürich.

Für ihr Debüt Caspar (2005) wurde sie mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Friedrich-Hölderlin-Förderpreis der Stadt Bad Homburg. Für ihren zweiten Roman Fischvogel (2010) erhielt sie ein Werkjahr der Stadt Zürich. 

Andrea Effinger, Stadtbibliothek im Torhaus