Buchtipp Erwachsene Februar 2018

Lemaitre, Pierre: Drei Tage und ein Leben

Der 12-jährige Antoine geht mit einem Holzstock auf den 6-jährigen Rémi los und trifft das Kind so unglücklich, dass es sofort tot ist. Zutiefst erschrocken versteckt Antoine die Leiche. Bald sucht das ganze Dorf nach Rémi. Die folgenden 3 Tage werden Antoines Leben für immer verändern.

(© Klett-Cotta Verl.)

Der zwölfjährige Antoine Courtin lebt 1999 mit seiner allein erziehenden Mutter in einem französischen Dorf. Schon vor sechs Jahren hat sich Antoines Vater von den beiden getrennt, aber der Schmerz darüber hat sich in die Seele des Jungen gebrannt. Seine Mutter versucht, sich und ihren Sohn durch mehrere Jobs über Wasser zu halten und ansonsten ein unauffälliges Leben in der Gemeinde zu führen. Die Achtung der Mitmenschen ist für sie das Wichtigste. Um sie zu bewahren, tut sie alles. Das Verhältnis zwischen den beiden ist merkwürdig kühl und wortkarg, denn keiner von beiden hat je gelernt, sich mitzuteilen.

Antoines Einsamkeit wird noch schlimmer, als seine Mutter ihm verbietet, sich mit den anderen Jungen zu treffen, um mit einer PlayStation zu spielen, die einer von denen geschenkt bekommen hat. Sie hält nichts von solchen Geräten. Lieber soll er seine Freizeit an der frischen Luft verbringen. Von da an geht er jeden Tag mit Odysseus, dem Hund der Nachbarsfamilie Desmedt, in den Wald und baut ein Baumhaus, mit dem er die anderen Jungen beeindrucken will. Odysseus wird sein bester Freund. Ihm kann er alles anvertrauen, was ihn bewegt. Manchmal darf auch der sechsjährige Rémi Desmedt die beiden begleiten, dessen Bewunderung für den älteren Antoine grenzenlos ist.

Am 23. Dezember 1999 kommt es zur Katastrophe: Odysseus wird von einem Auto angefahren. Als sein Besitzer den Hund erschießt, um die Tierarztkosten zu sparen, bricht für Antoine eine Welt zusammen. Er zerstört sein Baumhaus und als Rémi dazu kommt, eskaliert die Situation. Außer sich vor Schmerz und Wut schlägt er mit einem Stock auf den kleinen Rémi ein und trifft ihn so unglücklich, dass er stirbt.

Fieberhaft überlegt Antoine, was er tun soll. Doch die Entscheidung, die das Kind unter großem Druck fällt, ist falsch. Er versteckt die Leiche im Wald, verliert dabei seine Armbanduhr und kehrt schließlich nach Hause zurück. Im Dorf wird Rémi bereits vermisst und eine Suchaktion wird gestartet, an der sich fast alle Dorfbewohner beteiligen. Gerüchte machen die Runde. Ein Mann, dessen Auto am Waldrand gesehen wurde, wird verhaftet, später aber wieder frei gelassen. Antoine wagt es nicht, sich jemandem anzuvertrauen. Von Schuld und der Angst überführt zu werden getrieben, schluckt er alle Tabletten aus dem Medizinschrank im Bad. Aber seine Mutter ignoriert den Selbstmordversuch ihres Sohnes.

Als am zweiten Weihnachtsfeiertag ein schweres Unwetter - deutsche Meteorologen nannten es „Lothar" - über den Landstrich hereinbricht, muss die Suche nach Rémi abgebrochen werden. Alle Häuser sind überschwemmt, manche vollkommen zerstört. Es gibt Verletzte und auch einen Toten. Jeder hat mit sich selbst zu tun, weshalb die groß angelegte Suchaktion nicht wieder aufgenommen wird. Der Wald, in dem der tote Junge liegt, ist unzugänglich. Fast alle Bäume sind abgebrochen oder entwurzelt.

Antoine sieht die Chance, ungestraft davon zu kommen, aber er kann seine gewohnte Umgebung nicht mehr ertragen, in der ihn alles an seine Schuld erinnert.

Jahre später, er studiert mittlerweile Medizin, ist Antoines Leben geprägt von Panikattacken und immer wiederkehrenden Phasen von Depression. Er scheint seinem Heimatdorf entronnen zu sein, als sein Leben plötzlich eine unerwartete Wendung nimmt und er doch wieder mit dem Fall des verschwundenen Rémi konfrontiert wird.

 

 

 

Pierre Lemaitre, geboren 1951 in Paris, ist ein französischer Schriftsteller und Drehbuchautor. Seine Bücher sind vielfach preisgekrönt. Für seinen Roman Au revoir là-haut (Wir sehen uns dort oben) wurde er 2013 mit dem bedeutendsten französischen Literaturpreis, dem Prix Goncourt ausgezeichnet.

 

 

Sabine Fürst

Stadtbibliothek im Torhaus